Am Dienstag, den 2. Mai 2017 um 18.00 Uhr findet die 26. Diskussion der Reihe der VERITAS-Abende in der Aula der Budapester Wirtschaftsuniversität, Markó-Str. 29–31, mit dem Titel Ungarn und die angelsächsischen Mächte, 1900–1945 statt. Unter der Moderation des stellvertretenden Generaldirektors des VERITAS-Instituts, Endre Marinovich, werden der ehemalige Minister Privatdozent Géza Jeszenszky und der Historiker András Joó, wissenschaftlicher Hauptmitarbeiter des Instituts, das Thema darlegen.
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Die gebildete ungarische Gesellschaft hat seit der Reformzeit auf England und die Vereinigten Staaten als nachahmenswertes Beispiel geschaut. Neben Széchenyi und Kossuth kann hier noch der Name des Schriftstellers Sándor Bölöni Farkas erwähnt werden. Die starke Sympathie mit England – zur Zeit der Revolution 1848/49, dann während der Vergeltungen – bot die Grundlage auch dafür, dass die Anglophilie Anfang des 20. Jahrhunderts in Ungarn zu neuen Kräften kam. Sie war zwar mit unterschiedlicher Motivation, allerdings sowohl im 67er- als auch im Unabhängigkeitslager gleicherweise vorhanden.
Das auf gegenseitiger Achtung beruhende positive Bild änderte sich jedoch bedeutend im Laufe der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Bei Verschlechterung der Beurteilung Österreich-Ungarns ging auch das frühere Prestige Ungarns langsam verloren. Die Kritik Robert W. Seton-Watsons (der eher unter seinem Pseudonym Scotus Viator berühmt-berüchtigt war) wurde in Ungarn vielleicht mit übertriebenem Zorn aufgenommen, das Bild der angelsächsischen Mächte, insbesondere in Bezug auf die englische Politik, machten der Erste Weltkrieg und der Friedensvertrag von Trianon erst richtig düster. Die britischen Gegner des Friedensvertrages und die Stimmen, die die Revision unterstützten, hielten dennoch die ansonsten immer lebhafter gewordene Hoffnung wach, dass man sich auf Großbritannien stützen kann (denken wir hierbei an Lord Rothermeres Initiative). Die Anglophilie von Horthy, Bethlen und Teleki stand lange Zeit nicht einmal dem italienischen Bündnis entgegen, und es schien erforderlich, auch gegen den Raumgewinn des Nazismus Unterstützung zu suchen. Neben Hitlers Anfangserfolgen und den spektakulären Ergebnissen der ungarischen Revision kamen schließlich die Vertreter der angelsächsischen Orientierung ins Hintertreffen, und erst als der Krieg der Niederlage entgegenging, gab es Versuche, die früheren verhängnisvollen Schritte zu korrigieren – und auch das bei bedeutendem Gegenwind.
War es eine völlige Illusion Ungarns, sich in seiner geopolitischen Situation auf den guten Willen der angelsächsischen Mächte und ihre als zweifelhaft einzuschätzende Unterstützung zu verlassen? Führte ein unvermeidbarer Zwang1941 dazu, dass Ungarn schließlichmit beiden angelsächsischen Mächten in den Kriegszustand geriet? Obwohl über den Ausgang des Zweiten Weltkrieges eine Zeitlang Zweifel bestanden, nährten die ungarischen Führer (wie auch jene anderer Länder der Region) trotz der deutschen Niederlagen noch lange die Illusion, dass die „Angelsachsen” letztendlich die Sowjets nicht in das Gebiet des Donau-Beckens „hereinlassen” werden.
Vielleicht etwas vereinfachend, dennoch sehr eindrucksvoll ist der Titel eines Essays des ehemaligen Außenministers Géza Jeszenszky aus dem Jahre 1987, wonach die angelsächsische Beziehung eine „unerwiderte Liebe” blieb. Nach dem Begriff können wir heute anstelle des damaligen Fragezeichens – leider – nur einen Punkt setzen. Bei alldem ist ein dauerhaftes Nähren der (noch so berechtigten) Bitterkeit der enttäuschten Liebenden kaum ratsam, weil es zu falschen Ansichten und auch zu schlechten Entscheidungen führen kann.