Der Veritas-Abend vom 3. März hat die Praxis der Urteilsfindung der 1945 aufgestellten und letztendlich durch die Inkraftsetzung von vier Verordnungen des Ministerpräsidenten als Gesetzesartikel VII. aus dem Jahre 1945 in ihre endgültige Form gebrachten Volksgerichte in Ungarn, darunter des hauptstädtischen, d.h. des Budapester Volksgerichts, unter die Lupe genommen.
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Die Historiker Tibor Zinner, János Rácz und Dávid Kiss vom VERITAS Institut für Geschichtsforschung teilten neue Fakten mit und führten einen fachlichen Gedankenaustausch über die Volksgerichtsbarkeit – im Spiegel statistischer Angaben über die Volksanwaltschaft und Volksgerichte. Aus diesem Blickwinkel hat bisher noch niemand das Thema in Angriff genommen, das auch heute noch viele Menschen betrifft. Die konsequente Analyse der gefällten Urteile erläutert diese spezifische Institution der „Recht”-Sprechung von einer neuen – bisher nicht bekannten – Seite. Mit Hilfe der Register der Budapester Volksanwaltschaft und des Budapester Volksgerichtes sind die Tendenzen der Anklagebehörde und der Praxis der Urteilsfindung nachzuweisen. Durch die Analyse der Daten können die Anzahl der wegen Kriegsverbrechen und volksfeindlicher Verbrechen zur Verantwortung gezogenen Personen sowie die prozentuale Verteilung der Urteile unterschieden werden. Durch die Untersuchung der ersten 7.700 Strafverfahren lässt sich feststellen, welche Teile des Gesetzes über das Volksgericht in welchem Maße angewendet wurden. Mit dieser Forschungsmethode ist nachweisbar, dass es eine beträchtliche Anzahl von Fällen gibt, auf die sich der Beschluss des Verfassungsgerichtes 2/1994 bezieht, der die Verfassungswidrigkeit einzelner Paragraphen der einschlägigen Rechtsnorm besagt und sie vom Tag der Verlautbarung an für nichtig erklärt. Die Vortragenden analysierten die Angaben, und hoben dabei einzelne Fälle hervor, aus denen ersichtlich wurde, wie das System es ermöglichte, durch Erweiterung der auf den Krieg und Volksfeindlichkeit bezogenen Anklagen einfache Menschen, die keine Straftaten begangen hatten, bloßzustellen und deren lang anhaltende schädliche gesellschaftliche Beurteilung auch auf ihre Familien zu auszuweiten. Es genügt, allein die im Register der Volksanwaltschaft als „russischer Fall” festgehaltenen Verfahren zu erwähnen, in denen Sowjetsoldaten als eine Gruppe aufschienen, die besonderen Schutz genoss.
Die mit Verordnungen des Volksgerichtes geschaffene Rechtsinstitution wendete in zahlreichen Fällen sonstige Rechtsnormen der vorangegangenen Epoche, auch Passagen des damals geltenden Strafgesetzbuches und des Militärischen Strafgesetzbuches an. Aufgrund der Angaben in den Registern gingen die Vortragenden auf die Verzögerung der Länge der Strafprozesse bzw. die gesetzwidrige Rolle der Geheimpolizei ein, die die Strafverfahren vorher und nachher bestimmte. Aus den erschlossenen Fakten kann die rationale Frage aufgeworfen werden, dass es aufgrund der analysierten Strafsachen erforderlich wäre, ein weiteres Nichtigkeitsgesetz zu schaffen.