Die Gesetze aus den Jahren 1894 und 1895 haben in der Geschichte der Kirchen in Ungarn eine neue Epoche eröffnet. „Die Rolle des Staates hat sich verändert und er nahm die Funktionen in die Hand, die früher primär den Kirchen gehörten“, hob Csaba Máté Sarnyai hervor. Durch das Gesetzespaket von Wekerle wurde der Staatsbürger zunächst zum Bürger des Staates und erst auf der zweiten Ebene zum Mitglied irgendeiner Konfession.
Die vorherrschende Religion ist ein vom ungarischen Staatsrecht theoretisch abgelehnter, praktisch dennoch beschriebener Begriff. Er bedeutet die hervorgehobene Stellung der katholischen Religion gegenüber den anderen anerkannten Religionen. Daraus blieb für die Protestanten in der Zeit nach 1895 ein größeres prinzipielles Unrecht, dass nämlich der Staat und seine Regierung offiziell lediglich einen religiösen Kult, den römisch-katholischen, kennen und ausüben. Wenn wir von den anerkannten Religionskonfessionen sprechen, handelt es sich um Religionen, die in den Landesgesetzen verankert sind, d.h. die für ihre Glaubensprinzipien und ihre Funktion verfassungsmäßige Garantien erworben hatten. Zu ihren Merkmalen gehören die festgelegten Glaubensprinzipien, eine beträchtliche Population und eine gesellschaftliche Einbettung. Sie haben das Recht auf eine Selbstverwaltung im gesetzlichen Rahmen, d.h. auf Autonomie und die Unterhaltung von Einrichtungen. Zur Gewährleistung ihrer Rechte können sie öffentliche Einnahmen und Hilfe der öffentlichen Gewalt in Anspruch nehmen.
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Man kannin Ungarn nach 1848 von fünf anerkannten Religionen sprechen (römisch- und griechisch)-katholische, evangelische, reformierte, griechisch-orthodoxe und unitarische Kirche. 1895 wurden drei Konfessionen (die neologe, die orthodoxe und die status-quo-Tendenz) der jüdischen Religion als anerkannt erklärt, von denen die zahlenmäßig größeren zwei, die auch ihre Landesorganisationen schufen, ebenfalls eine hochrangige Mitgliedschaft erhielten. Den Begriff der anerkannten Religionskonfessionen hat die Gesetzgebung 1894–1895 geschaffen, um eine Aufstiegsmöglichkeit der sich ausbreitenden neuprotestantischen Kleinkirchen zu garantieren. Zwar sind sie nicht berechtigt, Hilfe der öffentlichen Gewalt und öffentliche Einkünfte zu genießen, können sich aber wegen ihrer Akzeptanz ihren eigenen Religionsunterricht aus eigenen Ressourcen organisieren. Seit 1895 kann jede Religionsansicht entsprechend dem Prinzip der Gewissensfreiheit ausgeübt werden, die die gesetzliche öffentliche Ordnung und die allgemein akzeptierte Sittlichkeit nicht verletzt. Religionen, die die gesetzliche Anerkennung nicht erreichen, können ihre Tätigkeit in Form von Vereinen ausüben, für die in der Rechtsordnung der Epoche das gesetzliche Aufsichtsrecht des Innenministers und der ihm untergeordneten Organe zur Geltung kam. Solchen Konfessionen kann man zu Beginn jenes Jahrhunderts in Ungarn die neoprotestantischen Kleinkirchen wie zum Beispiel die Nazarener, Adventisten, Methodisten und Pfingstler zuordnen.

Dr. Kálmán Árpád Kovács hob hervor, dass die Führung der katholischen Kirche das Gefühl hatte, der christliche Staat in Ungarn sei durch Gesetze abgestorben und dieses Gesetzespaket habe zur Verbreitung der Gleichgültigkeit beigetragen. Das bewahrheitete sich in den Großstädten, die Ungarn auf dem Land behielten ihre Religiosität tatsächlich bis 1950. Auf kirchenpolitische Gesetze drängten in erster Linie die Mitglieder der reformierten und der evangelischen Kirche, vor allem wegen der Wegtauf-Skandale. Sie meinten, dass die Rechtsregeln die Missbräuche endgültig abschaffen. Später sahen auch die protestantischen Kirchen ein, dass diese Gesetze auch die staatsrechtlichen Klammern lockern, die ihre Mitglieder an ihre Konfessionen binden, so müssen diese in anderer Form (z.B. durch intensive Seelsorge) ersetzt werden. Im Fall der kirchenpolitischen Gesetze können wir nicht von eindeutigen Gewinnern und Verlierern sprechen. Sie bedeuteten eine neue Situation, an die sich jeder auf seine eigene Art und Weise anzupassen hatte. Der Druck auf die neoprotestantischen Kleinkirchen ließ sofort nach, und es wurde eine neue Möglichkeit für die Entfaltung sozialer Beziehungen der neologen jüdischen Glaubensrichtung geboten, die sich sprachlich und auch in seiner Lebensweise assimilieren wollte.
Laut Volkszählung von 1910 waren jene, die sich als Ungarn bekannten, zu 58,7% römisch-katholisch, zu 2,8 % Mitglieder der reformierten Kirche und zu 7% Israeliten. Die Deutschen bezeichneten sich zu 66,6% als römisch-katholisch, zu 21,6% als evangelisch und zu 10,4% als Israeliten. Bei den Slowaken erklärten sich 71,8% römisch-katholisch, 23,2% lutherisch, bei den Rumänen 38,5% griechisch-katholisch und 61% griechisch-orthodox, bei den Kroaten 98% römisch-katholisch, während die Serben zu 98,5% griechisch-orthodox waren. 8,4% der Anhänger der reformierten Kirche und 98% der Unitarier bekannten sich als ungarische Muttersprachler, man kann also diese beiden Konfessionen als wahre „ungarische Religionen” bezeichnen.

Interessanterweise gab es vor 1894 keine Parteien, die einer Konfession hätten zugeordnet werden können. Die Katholische Volkspartei wurde auf Initiative von Ottokár Prohászka, von Nándor Graf Zichy und Miklós Móric Graf Esterházy gegründet. Die Rechtsreformen aus den 1890er-Jahren für die Trennung zwischen Staat und Kirche, darunter besonders die Einführung der Institution der bürgerlichen Ehe, waren die Gründe, um sie ins Leben zu rufen. Der Episkopat war leider dennoch der Ansicht – obwohl er im Prinzip mit den Zielen der Partei einverstanden war –, dass man sich nicht voll und ganz für sie einsetzen muss, weil er dann nicht loyal zum Staat wäre. Damit erreichten sie, dass nur ein geringer Anteil der ungarischen Katholiken für die Katholische Volkspartei votierte.
Aus dem Diskussionsabend konnte man den Schluss ziehen, dass die multireligiöse ungarische Gesellschaft ihr eigenes Modell verfolgte, und die kirchenpolitischen Gesetze von Wekerle existierende Problemebehandelten und das ziemlich effektiv.